Kategorie:  Kammermusik

Die sechs unterhaltsamen und bisweilen virtuosen Miniaturen sind durch Gedichte von Joachim Ringelnatz poetisch inspiriert worden. Dessen Humor, Ironie, Alltagsakrobatik, wetterwendische Stimmungsumschwünge und Groteske wurden versuchsweise in die musikalische Textur übertragen. Die Gedichte können in Konzerten auch gelesen werden. Eine CD-Einspielung mit dem Arcis Saxophon Quartett liegt seit 2012 beim Label ambiente-audio vor. Noten bei Ries & Erler Musikverlag, Berlin.

Sätze: 1: Das Ei
2: Übergewicht
3: Der Komiker
4: München (An die Schwiegereltern)
5: Das Mädchen mit dem Muttermal
6: Jerusalem

Dauer: 15

Notenausgabe: Musikverlag Ries & Erler, Berlin , 2021

Besetzung: Saxophonquartett S/A/T/Bar

Soloinstrumente: Saxophon

Vorwort: Die Fotos von Joachim Ringelnatz (1883-1934) sowie die drei Gemälde original von Ringelnatz "Der Kupferberg", "Treibende Schollen", "Urwald" wurden mit freundlicher Genehmigung vom Joachim-Ringelnatz-Museum in Cuxhaven zur Verfügung gestellt.

Anmerkungen: Die Texte, die als Inspiriation zur Komposition dienten:

DAS EI

Es fiel einmal ein Kuckucksei
Vom Baum herab und ging entzwei.

Im Ei da war ein Krokodil,
Am ersten Tag war´s im April

ÜBERGEWICHT

Es stand nach einem Schiffsuntergange
Eine Briefwaage auf dem Meeresgrund.
Ein Walfisch betrachtete sie bange,
Beroch sie dann lange,
Hielt sie für ungesund,
Ließ alle Achtung und Luft aus dem Leibe,
Senkte sich auf die Wiegescheibe
Und sah - nach unten schielend - verwundert:
Die Waage zeigte über Hundert.

DER KOMIKER

Ein Komiker von erstem Rang
Ging eine Straße links entlang.
Die Leute sagten rings umher
Hindeutend: Das ist der und der!
Der Komiker fuhr aus der Haut
Nach Haus und würgte seine Braut.
Nicht etwa wie von ungefähr,
Nein ernst, als ob das komisch wär.

MÜNCHEN (An die Schwiegereltern)

München, bei der echten Frau zuhause.
Endlich also wieder einmal eine Ruhepause.
Meine Stübchen, Küche, Bad, Salon.
Meinen Schreibtisch, meine Blumenwiese
Auf der Brüstung vom Balkon!
Wie ich das genieße!
Ohne jemanden zu bitten oder zu stören.
Ha!: Ich dürfte ruhig mit Behagen
- weil sie mir gehören -
All die schönen Bilder an der Wand zerschlagen
Doch ich tu's nicht. Denn wir nießen die
Und alles ge zu zweit,
Kindlich glückliche und fromme Zeit!
Schöner war es nirgends, wird es nie.
Und wir kochen, spielen Schach und lesen,
Plaudern: wie die Zwischenzeit gewesen,
Orden, albern, täubein. Bis es klingelt. Dann
Sind wir mäuschenstill.
Weil ich die Leute von X Jahren
Vieler Städte, die mal gütig zu mir waren
Aber alle mal nach München fahren,
Nicht empfangen - oder doch nicht nach Gebühr behandeln
Kann.

DAS MÄDCHEN MIT DEM MUTTERMAL

Woher sie kam, wohin sie ging,
Das hab ich nie erfahren.
Sie war ein namenloses Ding
Von etwa achtzehn Jahren.
Sie küßte selten ungestüm.
Dann duftete es wie Parfüm
Aus ihren keuschen Haaren

Wir spielten nur, wir scherzten nur;
Wir haben nie gesündigt.
Sie leistete mir jeden Schwur
Und floh dann ungekündigt,
Entfloh mit meiner goldnen Uhr
Am selben Tag, da ich erfuhr,
man habe mich entmündigt.

Verschwunden war mein Siegelring
Beim Spielen oder Scherzen.
Sie war ein zarter Schmetterling.
Ich werde nie verschmerzen,
Wie vieles Goldene sie stahl,
Das Mädchen mit dem Muttermal
Zwei Handbreit unterm Herzen.

JERUSALEM
(An ein Dienstmädchen in Straßburg i.d. Uckermark)

Mein Gold, was sagst denn du dazu,
Daß mich ein Flieger nach Jeru-
Salem hat mitgenommen?
Man ißt hier gut und trinkt sehr viel,
Und zweimal bin ich schon am Nil
Im Delta rumgeschwommen.

Die Stadt hat sehr viel Ähnlichkeit
Und urantike Hallen.
Jedoch man wird von Zeit zu Zeit
Von Räubern angefallen.

Die Leute hier sind ziemlich braun
Und heißen Zionisten;
Inwendig aber sind die Fraun
Genau wie bei uns Christen.

Ich habe zehn Moscheen gesehn
Und sprach mit Beduinen.
Ihr Türkisch könnt ich nicht verstehn,
Wohl aber ihre Mienen.

Am Sonntag kam auf einem Gnu
Der Sultan aus der Wüste,
Und als ich keck ihn mit
»Jeru-Salem Aleikum!« grüßte,

Da lud er mich in sein Palais
Und ließ mich dort entkleiden
Und schenkte mir sein Portemonnaie
Und wollte mich beschneiden.

Ich aber schlich mich leise fort
Und floh im weiten Bogen. -
Mein liebes Gold, auf Ehrenwort:
Ich hab noch nie gelogen.

Uraufführung:  07.04.2009, Europäische Festwochen Passau 2009

Uraufführung Interpreten: Saxophonquartett "panta rhei"

Haus der Wildnis, in Lindberg/Ludwigsthal

Uraufführung Presseberichte: PASSAUER NEUE NACHRICHTEN vom 6.7.2009 Michael Scheiner
In zehn Kapiteln durchmaß der Schauspieler Kromann das dichterische Leben des Berliner Literaten. Von knuddeligen Erinnerungen an die Kindheit, übers Seemannsleben mit dem herrlich derben und menschlichen "Kuddeldaddeldu", Bohèmeleben in München und Liebe bis hin zum eindringlichen Sinnieren über den Tod - begleitet, untermalt, kontrastiert von Musik aus drei Jahrhunderten. Nach der Pause präsentierte panta rhei die "Ringelnatz-Suite" in Anwesenheit des Münchner Komponisten Enjott Schneider als Uraufführung. Schneider ist es mit seiner anschaulichen Komposition, in der er unterschiedliche Stile und Formen pointiert einsetzt und verknüpft, perfekt gelungen Atmosphäre und Stimmung dieser Schüttelreime auf künstlerisch hohem Niveau aufzugreifen und zu spiegeln.

Tonträger: 

Tonträger Interpreten: Die Hörbeispiele1-3 werden gespielt von Stipan Mischula, Sarah Kober, Olena Savka, Nikolas Diroll, Mitschnitt eines Konzerts München 2010, die Hörbeispiele 4-5 vom Arcis Saxophon Quartett München:
Claus Hierluksch, Ricarda Fuss, Claudia Jope, Adrian Planitz und dem Rezitator Christoph von Sicherer