
Kategorie: Orgel / Sacred Music
Das Orgelkonzert Nr. 3 CHOPINIADE ist ein Kompositionsauftrag für die Polnische Baltische Philharmonie "Frédéric Chopin" in Danzig zur Uraufführung bei den Internationalen Oliwa-Orgelfestspielen durch Prof. Roman Perucki, den Festivalleiter und Intendant der Baltischen Philharmonie. In vier Sätzen werden in Art eines Mosaik-Portäts Episoden und Stimmungen dieses hochverehrten Nationalkomponisten aneinandergereiht. Ein letztlich von unstillbarer Sehnsucht geprägtes Leben, das in der zweiten Lebenshälfte vornehmlich in Paris - fern der Heimat - sich ereignete. Hoch und Tief, Zuspruch und Einsamkeit sind die Kontraste dieser letztlich doch genialen Aussenseiter-Existenz. Ein aus den Notenbuchstaben des Namens "F E D E C C H" entwickeltes Leitmotiv verbindet alle Sätze, die jedoch öfters auch mit originalen Zitaten aus Chopin's Kompositionen durchsetzt sind und so eine sinnliche Nähe garantieren.
Sätze: 1: SUCHEN NACH LEBENDIGKEIT
2: DIE FERNE GELIEBTE – LA CHIMÈRE DE LA VIE
3: KLÄNGE – „NICHT VON DIESER WELT“
4: APOTHÉOSE DU DÉSIR: LE PARADIS OU L’ENFER
Dauer: 26 Minuten
Notenausgabe: Strube Musikverlag München , VS 3736 , 2026
Besetzung: Grosse Orgel und Streicher (Violinen 1-3, Viola 1,2, Violoncello 1,2, Kontrabass)
(möglichst drei helle Triangeln in Vl, Vla, Vc von je einem Spieler)
Vorwort: Enjott Schneider: Essay zum Orgelkonzert CHOPINIADE
Leben und Werk des Frédéric Chopin (1810-1849) sind von beispielloser Einzigartigkeit, voller Risse, Brüche, Kontraste. Seine fragile Persönlichkeit oszillierte zwischen einem fast jenseitigen Existieren in den ästhetischen „reinen“ Welten von Poesie, Traum und künstlerischem Höhenflug einerseits, und dem irdischen Gefangensein durch Krankheit, Wahnvorstellungen, Depressionen, Not und Tod andererseits. Einen „Trauermarsch“ zu komponieren war ihm Programm: „mir ist traurig zumute, aber das macht nichts. Wenn es anders wäre, würde meine Existenz vielleicht niemandem einen Nutzen bringen“ (Brief von 1841). Heinrich Heine, ebenfalls ein leidenschaftlicher Paris-Verehrer und Freund brachte die surreale Heimatlosigkeit auf den Punkt: „Er ist weder Pole noch Franzose noch Deutscher; er verrät dann einen weit höheren Ursprung, er stammt aus dem Lande Mozarts, Raffaels, Goethes; sein wahres Vaterland ist das Traumreich der Poesie“ (1938). In der weltfernen Dominanz seines Seelenlebens war er letztlich einsam, wie Franz Liszt treffend bemerkte: „Seine Empfindungen und Eindrücke bildeten für ihn Ereignisse, die ihm wichtiger erschienen als die Wechselfälle der Außenwelt… In das Allerheiligste seines Herzens drangen selbst seine nächsten Bekannten nicht ein, das verschloss er vor allen Blicken.“
Prägend war die Kindheit und Jugend in Polen, gerade dort auch mit den ländlichen Aufenthalten, verbunden mit einer Liebe zu Volks- und Tanzmusik, - wohl als Gegenklang zur Künstlichkeit der Adels- und Kultursphären. Er atmete die polnische Heimat ein, die unbekümmerte Derbheit von Walzer, Mazurka, Polonaise, Oberek und die einfachen Lieder der Landsleute… doch nur, um dann in der „schönen“ Welt der Aristokratie und der Pariser Salons jede Bodenhaftung zu vergessen: Schwindsucht und Kränklichkeiten haben den Mann zu einer Seele ohne Körper werden lassen. Und folgerichtig sind ihm Walzer und Mazurka ebenfalls körperlos geworden, - federleichte Tänze einer einsamen Seele.
Dass in solcher Solitüde die Beziehung zum weiblichen Geschlecht kaum funktionieren konnte, liegt auf der Hand: die unerreichbare „Ferne Geliebte“ reichte als Musenkuss aus, um der kreativen Fantasie die Flügel zu verleihen. „Realität“ war hier kaum vorgesehen. „Sehnsucht“ wurde zum Leitmotiv eines Seins, das für Depression und unbewusste Suche nach Leid zunehmend anfällig wurde. Bereits mit zwanzig Jahren – schon für immer fern der polnischen Heimat, die er nie mehr sehen sollte – notierte er mitternächtlich allein im Wiener Stephansdom „Hinter mir Gräber, unter mir Gräber… nur über mir fehlt ein Grab!“. Musik wurde ab jetzt für Chopin zum Kokon, in dem all das überlebt werden konnte.
ANMERKUNGEN ZU DEN VIER SÄTZEN:
Die Klangwelt des Orgelkonzerts CHOPINIADE wird von dem romantischen Gestus der vielen Originalzitate Chopins bestimmt, deren Fülle jedoch das zentrierende Element eines Leitmotivs und einer besonderen harmonischen Formel gegenübergestellt wird: aus den jeweils zwei Anfangsbuchstaben des Vornamens und des Familiennamens ergab sich ein Motiv „F-E / C-H“ und ein prägnantes Akkord-Ostinato F-moll / E-moll / C-Moll / H-Moll. Die Ausdruckswerte ‚Schmerz und Leid‘ des zweimaligen abwärtsgeführten Halbtons sowie die Buntheit der Harmonik im Ambitus eines Tritonus „F – H“ markieren eine unverkennbare Individualität: Schmerz und farbenfrohe Vitalität als ein Kontrast, der auch in den anderen musikalischen Parametern wirksam geworden ist. Fast alle Zitate stehen auf dem Grundton „F“ oder „E“, - wie etwa die beiden zwanzigjährig komponierten Klavierkonzerte Nr. 1 e-moll und Nr. 2 f-moll.
1: „SUCHEN NACH LEBENDIGKEIT“ etabliert als agogisches Orgelsolo das leitmotivische Material, geht dann in die fragile Geheimniswelt einer metrumfreien „whispering cloud“ (Flüsterwolke) aus der sich das dunkle Leitmotiv und die hellen Fragmente des cis-moll Walzers op. 64,2 spannend begegnen. Dieses mysteriöse Suchen entlädt sich im lautstarken Zitieren des mit jugendlichen 18 Jahren geschriebenen „Rondo à la Krakowiak F-Dur“ op. 14 für Klavier und Orchester, mit seinem 2/4-Takt einer vitalen Reminiszenz an Landleben und Ausdruck der polnischen nationalen Identität. Trotz der französischen Abstammung durch seinen Vater hat sich Chopin immer eindeutig mit dem polnischen Heimatsgefühl seiner Mutter identifiziert.
2: „DIE FERNE GELIEBTE – LA CHIMÈRE DE LA VIE“. Die Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung – gerade durch das weibliche Geschlecht – scheint die beflügelnde Antriebskraft im Leben dieser hochromantischen Existenz gewesen zu sein. Die „Geliebte“ musste immer in der Ferne bleiben, sonst hätte eine alltäglich-realistische Nähe den endlosen Musenkuss zum Erliegen gebracht. Konstancja Gladowska war die bewunderte Kommilitonin, in die er 16jährig am Konservatorium sich verliebte, die – obwohl sie sich 1831 verheiratete – die glühend verehrte Projektionsfläche seines erotischen Strebens blieb. Die hier original zitierte „Romanze“ aus dem Klavierkonzert Nr. 2 e-moll ist – wie viele Werke dieser Zeit - Ausdruck dieser Sehnsucht. Chopins Begleitworte: „Es ist eine Art Romanze, ruhig und melancholisch… wie eine Träumerei in einer mondbeglänzten Frühlingsnacht. Deshalb wird es mit sordinierten Geigen begleitet“. Den Ring seines „Friedensengels“ trug Chopin lebenslang am Band unter der Kleidung verborgen an seinem Herzen. Ein zweites Mal wird in diesem Satz der Zentralton „F“ lautstark zelebriert, aus dessen Fortissimo sich dann leise der Walzer op. 69,1 im leitharmonischen f-moll herauskristallisiert: dieser bezieht sich auf Maria Wodzinska, eine weitere „Ferne Geliebte“, mit der es immerhin zu einer förmlichen Verlobung kam. Der Abschied von Maria in Dresden 1835 inspirierte ihn zu diesem Kleinod des melancholischen „Adieu“-Walzers. Zwei Jahre später musste er dann die offizielle Entlobung aus der Ferne mit seinem verzweifelt komponierten Trauermarsch aus der Sonate in b-moll kommentieren.
3: KLÄNGE – „NICHT VON DIESER WELT“ bezieht sich auf ein Wort Chopins, das er zwanzigjährig nach einem letzten Konzert am 22. März 1830 im heimatlichen Warschau schrieb: “Ich improvisierte nicht so, wie ich Lust hatte, denn es wäre nicht für diese Welt gewesen“. Aus einer Mélange der leitmotivischen Linie „f-e-c-h“ mit dem berühmten Trauermarsch in b-moll erstehen dann die schwebenden Harmonien und die irrealen Farbwechsel des „Prélude e-moll op. 24“. Dieses kurze Werk scheint mir wie die Essenz dieses von unfassbaren Höhen und Tiefen gezeichneten Komponisten zu sein, der stets in Distanz zum realen Leben blieb und den eine Zeitgenossin mit „Mann ohne Muskeln, ein körperloses Genie“ so treffend skizzierte. – Das abschließend aus „Klängen, nicht von dieser Welt“ sich herausdestillierende Nocturne op. 55,1 – wiederum im symbolischen f-moll – habe ich im Gedenken meiner jüngeren Schwester Valeska instrumentiert, die eben verstorben am Folgetag meiner Niederschrift dann beerdigt worden ist.
4: APOTHÉOSE DU DÉSIR: LE PARADIS OU L’ENFER. Das Finale setzt erneut mit einem lautstarken, jedoch eher rasenden Zelebrieren des Zentraltones „F“ ein, gefolgt vom schroffen Nebeneinander eines aus dem Leitmotiv gebauten „Valse burlesque“ und poetischen Passagen. Alles mündet in das Klavierkonzert Nr. 2 f-moll, das aus den Jugendjahren und dessen hier zitiertes Finale auf dem „Kujawiak“, einer regionalen Variante der Mazurka“ basiert. Es ist das wilde Flair der polnischen Vergangenheit auf dem Lande, die Sehnsucht nach Leben. Diese schafft sich – fast verzweifelnd wirkend – in einem erneuten Zitieren des „Prélude e-moll“ Raum, nicht leise und romantisch, sondern in einem dämonisch-romantischen Arrangement über rasenden Sechzehnteln der Streicher. Das Orgelkonzert endet mit einer virtuosen, fast nicht glaubhaften Jagd: Inspiration dazu war mir das irr wirkende und kaum zu glaubende Faktum, dass Chopins Körper in Paris bestattet liegt, sein Herz aber – in Cognac eingelegt – in die polnische Heimat reisen durfte, wo es in Warschau noch heute als berühmte Reliquie - in einer Säulen in der Heilig-Kreuz-Kirche eingemauert – verehrt werden kann. Seine Schwester Ludowika schmuggelte es unter ihrem Rock versteckt über die Grenzen, um Chopins letzten Wunsch zu erfüllen: sein Herz möge in seinem geliebten Polen verbleiben.
CHOPIN UND DER ORGELKLANG?
Das Unfassliche, Schwebende und Verwehende des Klavierklanges ist ja das Charakteristikum der Musik von Chopin mit ihrem unendlichen Facettenreichtum. Der weit weniger modulationsfähige Klang der Orgel mag fast als Widerspruch dazu erscheinen. Dennoch ist die Orgel mehrfach mit Chopins Leben verwoben, … was mir eine Rechtfertigung dieses Orgelkonzerts CHOPINIADE scheint. Frédéric – damals noch polnisch als Fryderyk – spielte schon 15jährig jeden Sonntag in der Kirche des klösterlichen Internats die Orgel, voller Stolz wie eine Notiz vom November 1825 ausweist: „Ich war die wichtigste Person im ganzen Lyzeum nach Hochwürden, dem Priester“. Er besaß auch eine solide Pedaltechnik und improvisierte auf der Orgel bei Schul- und Conventvisitationen. Noch später – falls es mit den beruflichen Wünschen nicht klappen sollte – bietet er einem Freund an, in seinem Dorf als Organist zu arbeiten. Und noch am 24. April 1839 – eben heimgekehrt aus Mallorca von dem legendär disparaten Aufenthalt mit seiner Lebensgefährtin George Sand – spielt er Orgel bei der Trauerfeier des Tenors Adolphe Nourrit. Überliefert ist, dass er zur Communion „Die Gestirne“ von Franz Schubert „mit sanften Registern“ erklingen ließ. Auch ist die die Interpretation seines auf Mallorca komponierten und von Wahnvorstellungen inspirierten „Regentropfen-Prélude“ dokumentiert. – Mit dem Orgelkonzert CHOPINIADE können wir also Verbindungslinien zu Frédéric Chopin entdecken, wie sie bislang kaum nachvollzogen wurden.
Anmerkungen: Cordially dedicated to my friend Roman Perucki
Uraufführung: 30.06.2026, Kathedrale Oliwa / Gdańsk in Polen
Uraufführung Interpreten: 30. Juni 2026 in Basilika Oliwa (Gdansk, Polen) mit Roman Perucki und der Polska Filharmonia Baltycka im. Fryderyka Chopina (Baltische Philharmonie)

















