
Kategorie: Kammermusik , Recordings
Das Album REFLECTING MOONS ist eine facettenreiche Collection kammermusikalischer Werke aus einer Zeitspanne von über 40 Jahren. Neben den drei Flötentrios sind es kleinere Werke für Klavier, die sich oft mit der Musik vergangener Zeiten beschäftigen, - ganz im Sinne von meinem Konzept des CCC: „Cross Culture Composing“, Neues Denken aus dem Dialog mit inspirierenden Eindrücken aus einstigen Kontexten des musikalischen Sprechens. Es ist mir Freude, dafür solch exquisite Interpreten von internationalem Rang gefunden zu haben, mit denen mich schon eine lange Freundschaft verbindet.
Vorwort: WENN WEIDEN VOLLMONDS IM WASSER SICH SPIEGELN wurde für einen Sammelband des Schott-Verlages Wasser“ - 25 Originalkompositionen für Klavier (ED 22276) geschrieben und ist meiner Enkelin Smilla gewidmet. Wasser und Weide sind verschwistert: Die Weide – der scheue Baum der Melancholie und Trauer - ist vorzugsweise an Gewässern angesiedelt. Und wenn der Mond, der wie kein anderer Himmelskörper das Wasser regiert, zum Vollmond sich vergrößert, dann zaubern subtilste Stimmungswechsel eine geheimnisvolle Atmosphäre.
WATER – ELEMENT OF INFINITY ist ein Flötentrio, dessen Soloparts mit dem gleichnamigen Doppelkonzert identisch sind. Dieses Konzert wurde - ebenfalls mit Lukasz Dlugosz und Agata Kielar-Dlugosz – im Januar 2020 in Katowice mit dem Silesian Philharmonic Symphony Orchestra für das Label WERGO aufgenommen.
Wasser ist ein wesentliches Sinnbild im Daoismus.
Laotse’s Feststellung „die höchste Gottheit ist wie Wasser“ (im 8. Kapitel des Dao Te King) eröffnet die Aspekte des „richtigen Weges“: das Weiche und Sanfte kann zum Harten und Starken werden, Wasser ist die Essenz vom rechten Pfad, denn es fließt immer zu den unteren Orten. Im Christentum findet man dieselbe Weisheit ausformuliert: „Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden“ (Korinther-brief des Paulus). – Die berühmte chinesische Melodie „Moon reflected on Erquan Ying Yue“ ist die Grundlage des vierten Satzes: sie wurde 1949 von dem blinden Erhu-Spieler A’Bing aus Wuxi (Jiangsu Provinz) komponiert und verbreitete sich schnell durch ganz China und wurde ein weltweites kulturelles Symbol. Der Dirigent Seiji Ozawa hörte sie 1978 und meinte, dass man sie nur auf den Knien betend wertschätzen kann. - Das Finale offenbart die meist unerkannte Gestalt des Wassers, - die ungeheure Kraft und Macht, die dem unscheinbar Weichen und Gestaltlosen innewohnt.
DESPAIR & LONGING – WITH BEETHOVEN BEYOND ALL THE TIME wurde für das Projekt “250 Piano Pieces for Beethoven” der Pianistin Susanne Kessel (Bonn) als eine Hommage an dieses große Vorbild komponiert. Schon 1972 hatte ich das Gesamtwerk von Beethoven analysiert und mein erster musikalischer Essay im Archiv für Musikwissenschaft hatte das Thema Mediantische Harmonik bei Ludwig van Beethoven. VERZWEIFLUNG & SEHNSUCHT ist eine Metamorphose zu Ehren von Beethovens 250. Geburtstag. Die pochende Verzweiflung wird durch die unendliche Sehnsucht gemindert, die sich in einer kleinen Melodie auszudrücken vermag: Beethovens Goethe-Vertonung „Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide“ zieht sich als Leitmotiv auch durch mein eigenes Leben.
Es ist in Erinnerung an meine Mutter - wenige Wochen gestorben – komponiert. Sie wählte völlig überraschend dieses Sinnbild „Sehnsucht“, um unsere Beziehung final zu beschreiben. Goethes Worte, die auch Beethoven faszinierten und die er in drei Versionen vertonte:
Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide! / Allein und abgetrennt von aller Freude, / seh‘ ich ans Firmament nach jener Seite. /
Ach! Der mich liebt und kennt ist in der Weite. / Es schwindelt mir, es brennt mein Eingeweide. / Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide!
(Lied der Mignon aus Goethes „Wilhelm Meister“-Roman)
NOTTURNO OSCURO „…ERBÄRMLICH GEKRÜMMT“ wurde für ein CD-Projekt der Widmungsträgerin Jelena Stojkovic komponiert. Es ist inspiriert von der Roman-Biographie SCHUBERT des Peter Härtling (1992), wo er schildert, wie sich der Komponist vor Liebe zur Sängerin Therese Grob verzehrt und nächtlich im Hof unter ihrem Fenster steht. Zitat aus Härtlings Roman: Dort wüten seine wüsten Phantasien, und er steht erbärmlich gekrümmt im nächtlichen Hof und befriedigt sich selbst.
Es ist eine obskure Nachtmusik, deren wilde Verzweiflung im Mittelteil in ein Sehnsuchtsthema mündet, - dem Kyrie der Messe Nr. 1 F-Dur D 105. Es ist eine wunderschöne „Erbarmen“-Musik aus Schuberts allererster Komposition. Franz Schubert hatte für seine angebetete Therese Grob (1798-1875) diese Melodie komponiert, die sie dann 16jährig als Solistin bei der Uraufführung der Messe in der Lichtenthaler Pfarrkirche in Wien sang. Man hört also eine absolut authentische Liebesmelodie. Das Notturno beginnt misterioso, agitato, düster und verzweifelt, exponiert in der Mitte das helle F-Dur der Messe Nr. 1 …Nach dem Mittelteil zerfällt das Notturno wieder dunklen Schmerz. Franz Schubert starb mit 31 Jahren mit unerfüllter Liebe und wenig Anerkennung. Selbst viele seiner unglaublichsten Werke wie etwa die Unvollendete Sinfonie Nr. 8 h-moll durfte er nie hören… Es ist für mich eine Tragik ohnegleichen, dass solch einem Genie zu Lebzeiten die Resonanz – und auch die Liebe – verwehrt geblieben ist.
SOMBRAS FRAGMENTARIAS. Oszillierende Gedanken zur „Pavane de Spaigne“
von Michael Prätorius (1571-1621) entstand für das Projekt Prätorius des Komponisten Stefan Heucke. Er hatte seine komponierende Kollegenschaft eingeladen, als Hommage an Michael Prätorius, dessen 450. Geburtstag und 400. Todestag sich 2021 jährten, eine Paraphrase zur „Pavane de Spaigne“ aus der Sammlung „Terpsichore“ zu schreiben. In meinen „Sombras Fragmentarias“ („Fragmentarische Schatten“) war die farbige Harmonik mit den auffälligen Querständen wie zum Beispiel bei den Akkordverbindungen A-Dur–C-Dur oder F-Dur-D-Dur das inspirierende Moment. Chromatisches Oszillieren führte zu den oszillierenden Gedanken, wobei Melodiezitate und Skalen mit übermäßigen Sekunden ein spanisches Kolorit evozieren.
MOZART IN NEW ORLEANS ist eine Hommage von ganz besonderer Art, die für einen Sammelband des Schott Verlags zum Mozartjahr 2006 entstand: Da Mozart selber nie verlegen war, über einen Gassenhauer oder damaliges „Evergreen“ Klaviervariationen zu schreiben, schlüpfte ich in das Mozart-Kostüm und variierte den 1964 durch die Animals legendär gewordenen Blues House oft he Rising Sun. Eine eher ironisch-unterhaltsame Komposition, die aber hier durch die fast philosophische Genauigkeit des Klavierspiels von Andreas Skouras sehr ernsthaft zu wirken beginnt.
BEYOND STILLNESS - HINTER DER STILLE sind meditative Sutras für zwei Flöten und Klavier. Ein Sutra ist in der östlichen Spiritualität ein Aphorismus, der in knapper Form die Essenz allen Wissens oder der Weisheit auszudrücken versucht. Es geht um die tiefsten Schichten des „Seins“, die jenseits der Gedankenwelt und jenseits eines vom Ego dominierten Lebensstils liegen. Schlüssel zu dieser Welt ist die „Stille“, die einen inneren Raum zu öffnen weiß, in dem dann Erkenntnis und wahre Kreativität manifest werden können.
Auch in der modernen Spiritualität ist diese Thematik von hoher Bedeutung. Viele Autoren weisen explizit auf die Weisheit der Sutras. Deshalb sind gerne zwei Bücher von Eckhart Tolle empfohlen: Stillness Speaks (Stille Spricht) von 2003, oder A New Earth (Eine neue Erde) von 2005.
1: Herz Sutra als das Sutra der höchsten Weisheit ist das am meisten rezitierte, kopierte und studierte Schriftstück des ostasiatischen Buddhismus. Es gilt als knappste Zusammenfassung der 600bändigen Lehre Buddhas auf nur einer Seite. Im Mittelpunkt steht die „Leere“ als fundamentales Wesen aller Dinge, das „Sunyata“ des Sanskrit als Freiheit von jeder Anhaftung und von jeder Konditionierung des Denkens. Der vollständige Titel meint „Die Essenz des erhabenen Hinübergelangens ans jenseitige Ufer der Weisheit“. Die spirituelle Erfahrung liegt darin, die „Form als Leere – und die Leere als Form“ zu erkennen. Das musikalische Material beruht hier auf einem freien Umgang mit der Skala des „Rag Shree“ (E – F – G# – A# - B – C – D# – E).
2: Kama Sutra als Verse des Verlangens und der Kraft der Evolution entstammen vor allem dem Buch von Vatsayayana Mallanaga und sind in der Öffentlichkeit vor allem als vulgarisierte Texte zu Sexualität und Erotik bekannt. In den Tempeln des Hinduismus wie auch in den daoistischen Texten zur Sexualität geht es unmißverständlich um konkrete Lust und Leidenschaft. In der vorliegenden CD wurde aus Zeitgründen dieser zweite Satz weggelassen, der jedoch in den Online-Veröffentlichungen gehört werden kann.
3: Diamant Sutra ist die „Diamanten spaltende Vollkommenheit der Weisheit“ aus einer Predigt Buddhas. Es stammt aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung und ist ein in Ostasien – und gerade auch in der Zen-Tradition – einflussreicher Text. Dieser umfasst 32 Abschnitte. Seine Rezitation dauert 45 Minuten. Die zentrale Gleichung „Leere = Form / Form = Leere“ führt auch hier zur Weisheit, dass die Leerheit aller Phänomene („all beings… are beeingless“) zur Erleuchtung führt. Mit der Welt der Formen, Namen und wahrnehmbaren Fassaden betrügen wir uns, denn alles ist „Nichts“ („the logic of not“). Wahre Bedeutung kann nur jenseits der Gedanken und Worte liegen. Das musikalische Material beruht im Diamant Sutra auf dem Umgang mit der Skala des „Rag Todi“ (C – Db – Eb – F# - G – Ab – B – C). Am Ende erklingt als vowel colorations (in die Flöte hineingesprochen mit freiem Fingering) das essentiell passende Mantra: „Gate – Gate – Paragate – Parasamagate – Bodhi Svaha“ (Gegangen, Hinübergegangen, ganz hinübergegangen, O welche ein Erwachen, Segen“.
TOCCATA UND ADAGIO: CIRCLE OF LIFE ist “Dr. Peter Hanser-Strecker, meinem Verleger, herzlichst gewidmet“. Die TOCCATA ist ein Auftragswerk für den Internationalen Klavierwettbewerb der Musikakademie Wiesbaden; sie ist auch einzeln spielbar, hat jedoch für eine Verwendung in Klavierprogrammen ein ADAGIO als extremen Gegenspieler, was das Ganze zu einem interessanten zyklischen Werk macht. Die TOCCATA drückt als vis vitalis das rauschhafte Frühlingsgefühl mit ekstatischer Motorik und einem Hauch sehnsuchtsvoller Poesie aus: Musik der Jugend.
Adagio „The Art of Quietness“ („Die Kunst der Ruhe“) ist eine Zen-Übung für Klavier: Unendlichkeit, Zeitlosigkeit und Entleerung des Wollens wird hier evoziert, im rituellen Gleichmaß (das Tempo Viertel = 60 ist kompromisslos einzuhalten) liegt etwas Gewaltiges, wie das Dröhnen der Stille. Es ist Musik des Endens, des Alters: die Zitatfragmente (Wagners „Tristanakkord“, Beethovens „Les Adieux“ und von R. Strauss das „Till Eulenspiegel“-Motiv sind wehmütige Erinnerungen an Vergangenes.
DIE SEHNSUCHT MEINES GEO-DREIECKS für zwei Flöten und Klavier wurde 1984 in dieser Triobesetzung original komponiert, dann später auch als Version für 2 Flöten und Streichquartett. Das Werk ist „Meinem Geo-Dreieck ARISTO Nr. 1550 gewidmet, das mir stets beim Notenschreiben dient“
Das Werk thematisiert die Spannung zwischen Emotion & Expressivität einerseits und Kalkül & Konstruktion andererseits, der das Erfinden von Musik immer ausgesetzt ist. Gellende Peitschenhiebe, nüchterne Krebsläufigkeit und ein im Klavierbass verborgenes Wagnerzitat "Sink hernieder, Nacht der Liebe" gehören zu den irritierenden Paradoxien dieses Werkes.
Zwischen vitalen Emotionen wie "Freiheit", "Sehnsucht" und dem Eingekerkert-Sein in die Zwänge der Vernunft und der hypo-rationalisierten Welt muss jeder Mensch seinen Weg suchen! Das beschäftigte mich schon 1984. Heute – Jahrzehnte später - ist dieser Antagonismus wichtiger denn je geworden: Wirr leben in einer Gesellschaft, in der Computer und Programme faschistisch alles beherrschen und überwachen! Die Sehnsucht nach einem freien Leben und eigener Schwingung, statt „Geo-Dreieck“, wo alles reguliert, gemessen, organisiert und geplant ist. Freiheit gegen totale Programmierung… RAUS AUS DER MATRIX! - das ist die Botschaft dieses Stücks.
WITCHES DANCE – HEXENTANZ wurde 2012 für das „Petrushka Projects“ anlässlich eines Geburtstagskonzertes für Peter Hanser-Strecker (Schott Music) komponiert. Es charakterisiert die Zauberkraft und unverwüstliche Geschäftigkeit meines Freundes und Verlegers. Im Geist der romantischen Klaviermusik geboren, werden hier modernere Stilmittel hochvirtuos eingesetzt.
OVER MANY YEARS ist eine Klavierballade, die in der über zwanzig Folgen umfassenden ARD-Serie Vater Wider Willen als nostalgische Erinnerung den dramaturgischen Zusammenhang gibt. Diese Serie, der eine große Trilogie von je 90Minuten-Filmen (Regie: Peter F. Bringmann) vorangestellt wurde, exponiert als Musikfilm den Schauspieler Christian Quadflieg, der als ’berühmter Dirigent“ ein aufregendes Leben zwischen Konzertsaal und Familie zu absolvieren versucht.
Tonträger: Ambiente Audio, 2025