Kategorie:  Symphonie / Orchester

Avantgarde, abgefahrene Orchestrationseffekte... gepaart mit der Ästhetik des PUNK: vier Saxophone in coolen, wilden, lyrischen und aggressiven Passagen, - Soli und homogener Quartett-Sound im Wechselspiel mit einem Orchester, das über die Stränge schlägt. Das Ganze vor der PUNK-Metropole Berlin, wo - etwa am Alexanderplatz - auch die Nähe zur harten Drogenszene und die Sehnsucht nach Liebe spürbar ist.

Sätze: 1: Spiked Saxes
2: Moon over Alexanderplatz (...wir lassen dich nicht allein)
3: Police Rats (...Bullenjagd)
4: Toxic Love (...von Suizid-Susie aus Kreuzberg)
5: Fun-Punk (...Schizo grellbunt)

Dauer: 24 Minuten--------------------------

Notenausgabe: Ries & Erler Berlin , 51435 , 2016

Besetzung: Orchestration:
2 Flöten (2. auch Piccolo)
2 Oboen (2. auch Englischhorn)
Klarinette
Bass-Klarinette
Fagott
Kontrafagott
4 Hörner
2 Trompeten
3 Posaunen (T T B)
keyboard (Pianosound, diverse electronic sounds, guitar sounds)
Pauke
Schlagzeug 1+2
Großes Streichorchester

Soloinstrumente: Saxophon

Vorwort: BERLIN PUNK. Konzert für Saxophon-Quartett und Orchester
1: Spiked Saxes
2: Moon over Alexanderplatz (...wir lassen dich nicht allein)
3: Police Rats (...Bullenjagd)
4: Toxic Love (...von Suizid-Susie aus Kreuzberg)
5: Fun-Punk (...Schizo grellbunt)

„Punk“ als Wort für faules Holz, Müll, Dreck, Wertloses hat eine lange Geschichte und bezeichnete schon in Shakespeares „Maß für Maß“ (1596) die Prostituierte, benannte lange auch in der Homosexuellen-Szene den untersten Abschaum, die Schwanzlutscher-Mentalität. Die Punk Music entstand als greller, schneller, lauter und aggressiv-simpel gestrickter Rock’n’Roll („nur drei Akkorde“) entstand Mitte der 70er Jahre in New York (erste Band „Ramones“) und London („Sex Pistols“). Kultivierung des Übersteuerten, des unmoduliert-Rohen. Antibürgerlicher Schock und Provokation als ästhetisches Fanal. Frühe Pioniere waren auch Iggy Pop, Lou Reed.---------------------------------------------------
„Punk“ war auch eher ein Lebensgefühl, als ein dingfest zu machender Musikstil: Subkultur, Anarchie, destruktive Ablehnung bürgerlicher Werte und jeglicher Zukunftsvision („No future!“) waren Reaktionen auf urbane Verödung. Piercings mit Nadeln, Stachelfrisur („spikes“), zerrissenes T-Shirt oder Netzhemd mit Lederjacke volle Nieten und Embleme wurden zu Markenzeichen. Mit Alkohol und Drogen ging eine Selbstzerstörung parallel, die mit Schizophrenie und Suizidalität alle Höhen und Tiefen des Menschlichen durchmaß: eine Art radikalisierter Existentialismus. Als in den 80er-Jahren die Hannoveranische Polizei Karteikarten für Punks und Skinheads erstellt, wurden dann konsequent „Chaostage“ dagegengehalten. ----------------------------------------

Wie keine andere Stadt bot Berlin mit seiner von hässlichen Rissen („die Mauer“) und Extremen geprägten cityscape den Humus für Kultur und Musik des Punk. Solche nutzlose Flächen jenseits jeder Verwertungslogik, verlassene Areale, Mauerreste, Industrieruinen und sichtbare Wunden eines Bomben-Weltkrieges gab (und gibt) es nur hier. Im Februar 1977 fand im Kant-Kino mit den „Vibrataors“ das erste Punk-Konzert statt. Wie Flächenbrand breitete sich dieses neue Lebensgefühl aus, - vor allem in Kreuzberg, dann auch nach 1989 im Osten. Maik Mertens (im Ox-Fancine 2003) beschreibt: es kam „zu einer Ära deutscher Underground-Kultur, die an Wichtigkeit kaum zu unterschätzen ist. Dabei ging in Berlin alles schneller und härter zur Sache als anderswo. Berlin hatte... die wahnwitzigsten Gruppen, die genialsten Ideen, die extremsten texte, die heftigsten Drogen, die meisten Clubs, das beste Publikum und natürlich auch das fertigste Publikum..... Punk in Berlin hat es selbstverständlich nach 1989 immer gegeben. Wenn man alle Schattierungen und Mutationen von Punk zusammen nimmt, dann ist dieser Style in Berlin heutzutage wahrscheinlich größer den je. Dennoch: eine so aktive, geschlossene und einzigartige Szene wie zwischen 1977 und 1989 dürfte in Berlin und anderswo schwer wiederholbar sein“.
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Bereits die Namen der Punkrock-Gruppen sind Programm: BetonTod, Stromsperre, Abstürzende Brieftauben, Terrorgruppe, Die Ärzte, The Erections, Toxpack. Nina Hagen, die in Ost-Berlin geborene „Godmother of Punk“, wurde zur schillernden Figur, die zur Neuen Deutschen Welle überleitete und kulturell weit gefächert war (von Spiritualität, extraterrestrischer Intelligenz-Diskussion bis unberechenbarer Aggressivität). 1979 lieferte sie den ersten Punk-Skandal, als sie in Club 2 des ORF ihre Masturbationstechniken vorführte und den Ruf einer „Medienterroristin“ erhielt, den sie mit vielen weiteren Provokationen immer wieder einlöste.
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Musikalisch ist „Punk“ sehr uneinheitlich geworden und tangiert viele andere Stile wie Metal Rock, gothic culture und die Batcave-Szene. Wesenhaft ist der bewusst inszenierte Dilettantismus, das Anti-Kommerzielle und Anti-Professionelle, das Do-it-yourself (eigene Produktion, eigener Vertrieb), die Lust am Hässlichen und Kaputten. Das outfit des Punk wurde auch in der Mode weiterentwickelt: Paul Gaultier z.B. nahm hier wichtige Impulse auf und öffnete dem Punk die Türen zur Pariser haute couture, - nahezu ein Hohn, wenn man an die Herkunft aus untersten Schichten des Lebens auf der Straße denkt... wo alles herkam.----------------------------------------------------------

Meine Komposition BERLIN PUNK ist keine Imitation von punk music, sondern versucht mittels einer Transposition in die sinfonische Sprache Lebensgefühl und Charaktereigenschaften des „punk“ darzustellen. Simpel und einfach gestrickt, sowohl einer Ästhetik des Hässlichen und des musikalischen Mülls verpflichtet, manchmal grell-bunt mit abgefahrener Lebenslust überzeichnend, aber auch – in den leiseren Teilen – etwas von dem Fragezeichen und der Sehnsucht nach Wärme vermittelnd: „Ich will doch nur, dass ihr mich liebt“ hieß ein berührender Film des dem Punk durchaus seelenverwandten Rainer Werner Fassbinder. Das Saxophon – und noch exzessiver: vier Saxophone! – ist in der Lage, mit den extremen Arten der Tongebung diese zerrissene Stimmungsvielfalt einzufangen: hart, laut, dirty, schnoddrig, aggressiv, lyrisch, poetisch, sehnsuchtsvoll... das ist die beeindruckende Emotions-Skala, die von einem Spitzenensemble wie dem Berliner Quartett CLAIR OBSCUR radikal umgesetzt wird.

Widmung: Dem Berliner Saxophonquartett CLAIR-OBSCUR herzlich gewidmet

Uraufführung:  22.02.2017, Minden

Uraufführung Interpreten: Uraufführung:
22.2.2017 in Minden mit Clair-Obscure, Nordwestdeutsche Philharmonie, Ltg.: Yves Abel (im Programm erklingt auch die 5. Sinfonie von Sergei Prokofieff). Unmittelbare Folgekonzerte in Herford, Bad Oynhausen, Detmold, Paderborn und Gütersloh................................................................................................................................................................................................................


Die Audioexamples unten entstammen einem Mitschnitt des Konzerts vom 24.2.2017 in Herford mit der Nordwestdeutschen Philharmonie, Leitung: Yves Abel (mit freundlicher Genehmigung des Orchestermanagements)

Tonträger:  WERGO,  2018

Tonträger Interpreten: CD: clair-obscur - the colors of saxophone
with sax quartet "clair-obscur", Siberian State Symphony Orchestra, Vladimir Lande, conductor