
Category: Symphonie / Orchester
PIK, KARO, KREUZ & HERZ: „Geheime Welt zwischen Himmel und Jahrmarkt“.
Das Spiel mit Karten aus „kartoniertem Papier“ ist in Europa seit dem 14. Jahrhundert in Spanien, Italien, Frankreich und im deutschem Sprachraum nachweisbar. Sich rasend verbreitend gab es bereits im 15. Jahrhundert überall verschiedenste Kartendecks. Die Wurzeln weisen aber zurück in die alten Kulturen Ägyptens, Indiens und Chinas. Besonderen Einfluss hatte die jüdische Kabbala und das darauf basierende Tarot. Durch die Verwurzelung in solch großen Weisheitssysteme entwickelte sich das Kartenspiel nicht nur als oberflächliches Glückspiel, sondern wurde zu einem tiefen metaphorischen Instrument der Einsicht in menschliche Existenzen.
Das „Spiel“ ist eine Metapher des Lebens. In Spiel und in Leben geht es um das Erproben und Ausbalancieren von Strategie, Taktik, um das Verbinden von Ängsten mit Risikofreude, um die Fähigkeiten des Analysierens und Planens
KREUZ, PIK, KARO & HERZ weist genau diese Ambivalenz des Kartenspiels zwischen „Himmel und Jahrmarkt“ auf: es geht zum einen um letztendliche „hohe“ Dinge wie Seele, göttliche Weisheit, Strukturen des menschlichen Seins, zum anderen auch um „niedere Dinge“ wie Tanz, Lust an Motorik und Bewegung, um nutzlosen Spaß und die banalen Freuden des Jahrmarkts, des Zirkus. Die musikalischen Vokabeln entstammen daher nicht selten dem Tanz, dem „nicht-heilig“ Niederen, dem trivialen Genre, der Zirkus-Nähe.
Es gibt keine Hierarchie von Cello 1,2,3 oder 4: jeder Spieler atmet Freiheit, hat eigene Phantasie und Bewegungsräume. Jeder der vier Spieler verselbständigt einen bestimmten „Kartentyp“, mit dem dann auf den imaginären Tanzboden des Lebens gegangen wird: Karokönig, Herzdame, Kreuzbube und Pik As sind Charaktere, die aus den 22 Karten der „Großen Arkana“ des alten Tarot, der Mutter aller Kartenspiele, hervorgegangen sind.
Movements: Prolog – Pik As - Kreuzbube – Karokönig - Herzdame – Epilog
Duration: 22 Minuten
Publisher of notes/sheet music: Ries & Erler Musikverlag , 2025
Instrumentation: Solistisches Celloquartett
2 Flöten (2. sich Piccolo), Oboe, 2 Klarinetten in B, 2 Fagotte, Horn 1-3 in F, Harfe, zwei Percussions und großes Streichorchester
Introduction: KARTENSPIELE – Geheime Welt zwischen Himmel und Jahrmarkt
Das Glückspiel mit Karten aus „kartoniertem Papier“ ist in Europa seit dem 14.
Jahrhundert in Spanien, Italien, Frankreich und im deutschem Sprachraum
nachweisbar. Sich rasend – gerade auch in Adelsschichten - verbreitend gab es bereits
im 15. Jahrhundert überall lokale „Blätter“ und verschiedenste Kartendecks.
Seiner geheimnisvollen Doppelbödigkeit wegen wurde Kartenspiel erstmals 1367 im
‚Verbot von Bern‘ oder 1377 bei Johannes von Rheinfelden in dessen moralischen
Deutungen erwähnt. Der Beigeschmack des Verbotenen und des ‚Okkulten‘ rührt auch
daher, dass Kartenspiele – vor allem auch als divinatorische Systeme (Wahrsagung) –
vom ‚Fahrenden Volk‘ verbreitet wurden. Und genau dies führt zu den geistigen Wurzeln:
die Etymologie von ‚Zigeuner‘ als „Gipsy“ (zunächst sogar „Gypsy“) verweist nach
Egypt/Ägypten. Dieser Jahrtausende alte Kulturraum, aus dem bekanntlich auch die
jüdische Lebenswelt entwachsen ist, war in seinen Wurzeln wiederum eng mit dem
noch älteren vedisch-indischen Raum verbunden. Dass die Herkunft von Sinti und Roma
sich ebenfalls durch diesen indischen Ursprung definieren, passt wunderbar in die
Genealogie. Von Indien ausgehend findet man das hinter den Karten stehende geistige
bzw. divinatorische Erkenntnissystem in östlicher Richtung im chinesischen „I Ging“
(Tao Te King) und dem chinesischen Zodiak, in westlicher Richtung in den ägyptischen,
jüdischen und arabisch-islamischen Hochkulturen. Durch die Verwurzelung in solch
große mythologische und Weisheitssysteme entwickelte sich das Kartenspiel nicht nur
als oberflächliches Unterhaltung- und Glückspiel, sondern wurde zu einem tiefen
metaphorischen Instrument der Einsicht in menschliche Existenz.
Das „Spiel“ ist eine Metapher des Lebens. In Spiel und in Leben geht es um das
Erproben und Ausbalancieren von Strategie, Taktik, um das Verbinden von
Sicherheitsängsten mit Risikofreude, um Fähigkeiten des Analysierens und Planens. Im
„Spiel“ („spil‘ stand schon im Mittelalter für Tanz, Bewegung, Dynamik) tritt der Mensch
in einen „magic circle“: ein Raum der Freiheit, ohne Zwang zur Nützlichkeit, mit dem
man aus der eigenen beschränkten Wirklichkeit heraustreten kann. Der „Homo Ludens“
(so Johan Huizinga in seinem bahnbrechenden Werk von 1938) erlebt im Spiel – was
übrigens auch für das musikalische ‚Spielen‘ gilt - das freiwillige Handeln, die Freiheit
vom alltäglichen Müssen, die Befreiung vom Elizienz-orientiert-sein. Spielen ist eine
vorbewusste ‚Welt-Befragung‘, eine Schule der Interaktion, von Teamgeist und
Wettbewerb gleichermaßen. Im Spiel geht es um Exploration, um die Macht der
Phantasie, um Träume, Rollenspiele, - auch um Manipulation, um Erfahrung,
Beziehungen, um Kompromisse als Weg zum Erfolg: Zurückweichen oder Stürmen,
Zufall oder Plan? Das Kartenspiel konnte so zum Symbol der menschlichen Existenz,
eine Chance zur inneren Reifung werden. Jedes persönliche Leben bleibt sozusagen ein
Mix aus Zufall und Plan, aus Aktion und Reaktion, aus Logik und Unerklärbarem.
Die Welt als das „Wellende“ gehorcht dem Gesetz der Frequenz: Auf Wellenberg folgt zwangsläufig das Wellental, aus Yin wird immer ein Yang, aus oben wird unten… wie beim Rad der Fortuna. Die jüdische Kabbala weiß um die tiefe Einheit der Gegensätze: das zentrale „Kodesch le Chol“ sieht den Gegensatz von „Heilig“ und „Profan“ als Urmuster alles Seins, - so wir eben auch im Kartenspiel den Himmel und den Jahrmarkt harmonisch nebeneinander finden.
In vielen Kulturdokumenten findet sich das Spiel als intuitive oder göttlich gefügte
Mischung von Strategie und Zufall:. Literarisch: im „Glasperlenspiel“ von Hermann
Hesse, in Nietzsches „Fröhlicher Wissenschaft“ mit seiner Balance von Zufall und
Kontrolle, bei Sherlock Holmes dedektivisches Interesse am Kartenspiel als Erforschen
verborgener psychischer Neigungen, bei „Alice im Wunderland“ von Lewis Caroll, wo die
Spielkartenmotive wieder als uralte Metaphern bei der Identitätssuche fungieren.
Musikalisch: in Bizets „Carmen“ (1875) geht es um Wahrsagen und Kartenspiel, ebenso
bei Tschaikowsky in „Pique Dame“ (1890), bei Strawinsky in „Jeux de Cartes“ oder bei
Schostakovitch in op. 63. „Die Spieler“ (nach dem gleichnamigen Roman von Nikolai
Gogol).
KREUZ, PIK, KARO & HERZ weist genau diese genealogische Ambivalenz des Kartenspiels zwischen „Himmel und Jahrmarkt“ auf: es geht zum einen
um letztendliche „hohe“ Dinge wie Seele, göttliche Weisheit, Strukturen des
menschlichen Seins, zum anderen auch um „niedere Dinge“ wie Tanz, Lust an Motorik
und Bewegung, um nutzlosen Spaß und die banalen Freuden des Jahrmarkts, des
Zirkus. Die musikalischen Vokabeln entstammen daher nicht selten dem Tanz, dem
„nicht-heilig“ Niederen, dem unterhaltenden und trivialen Genre, - eben der Zirkus-
Nähe.
Es gibt keine Hierarchie von Cello 1,2,3 oder 4: jeder Spieler atmet Freiheit, hat
eigene Phantasie und Bewegungsräume. Jeder der vier Spieler verkörpert einen
bestimmten „Kartentyp“, mit dem auf den imaginären Tanzboden des Lebens gegangen
wird: Karokönig, Herzdame, Kreuzbube und Pik As sind Charaktere, die aus den 22
Karten der „Großen Arkana“ (‚Arkana ‚= Geheimnis) des alten Tarot, der Mutter aller
Kartenspiele, hervorgegangen sind.
Nachstehend einige Stichworte zur Deutung dieser vier Spielkarten des sehr
verbreiteten „französischen Blatts“, die von den vier Cello-Solisten repräsentiert
werden:
KREUZBUBE: Der Bube oder Bauer steht für den niedersten Stand, den Bauern. Deshalb
ist das dreiblättrige Kleeblatt (dem Kreuz ähnlich) das Symbol. Element ist das ‚Feuer‘
Kreuzbube Ist die Karte des Mysteriums und des Schicksals. Das Bildmotiv geht auf den Ritter Lancelot der alten Artus-Sage zurück. Im Skat ist der Kreuzbube der höchste Trumpf, der alle anderen Karten stechen kann.
Die Deutung der Karte weist auf Gemeinschaft, Familie und Zusammenhalt hin, dies
jedoch immer aus der Perspektive der Jugend: Heranwachsen, Protest,
Gleichberechtigung und vor allem Liberalität sind die Merkmale. Kreuzbube verkörpert
das nach Außen drängende Unbewusste: bringt freimütig kreative Ideen ins Spiel, offen
für Gespräche, die der Klärung und Wahrheit dienen, fühlt sich aber leicht angegriffen,
will sich verteidigen und hat das Recht auf unkontrollierte Emotion der Jugend: Wut,
Stichelei, Ungeduld, Eifersucht, kleine Sarkasmen. Wie beim unbewussten Tun
der Kinder vernimmt man Poltern, Lärm, Leichtigkeit der unreifen Meinung und
akzeptiert diese eher störenden Eigenschaften, - denn sie werden noch reifen und sich
wieder legen!
PIK AS: Dieses „Ace of Spades” zeigt ikonographisch die Spitze einer Pike, eine
historischen Stichwale der Fußsoldaten. Im uralten Tarot stammt die Karte aus der
Kleinen Arkana und dort der Serie der „Schwerter“. Element ist die ‚Luft‘. Die Karte steht
für den Adelsstand, - dem Gegenpol der Bauern/Buben. Pik As wird gerne als Symbol der Asexualität und der Aromantik genommen: Personen ohne romantische und sexuelle
Empfindungen. Harry Potters Gegenspieler Lord Voldemort ist ein typischer
Repräsentant, - es geht bei Pik As um Macht und Prestige. Im Vietnamkrieg wurde Pik As
von amerikanischen Soldaten als psychologische Wale eingesetzt.
Im übergeordneten Sinne verkörpert diese Karte Intellekt, Weisheit, die Prüfungen des
Lebens, Kraft, Ehrgeiz, Mut und Konflikt. Im Roman „Pik Ass“ von Faridah Àbiké-Lymidé
geht es bezeichnenderweise um Rassimus und Bedrohung.
KAROKÖNIG: Er ist der ‚König der Diamanten‘, denn das Karo wird vor allem als Symbol
für Diamanten gelesen. Ist im französischen Blatt eine besonders ikonische Figur. Ist mit
Schwert oder Streitaxt versehen und hat in den meisten Kartenspielen einen hohen
Wert. Zeichnerisch geht die Karte auf Julius Cäsar zurück. Element ist die ‚Erde‘.
Eigenschaften des Karokönigs sind dementsprechend Reichtum, Autorität, Macht,
Stärke, militärische Führungsqualität. Der Karokönig ist ein guter Verhandlungsführer,
klug, furchtlos, kann aber auch ein Hitzkopf werden. Die Karten der Karo-Serie stehen in
alten Zeiten auch für den Stand der Kaufleute und der Geistlichen. Das Rautensymbol
wurde in Frankreich auch gerne als „roter Pflasterstein“ gesehen, der Waffe der Bürger.
Daher auch die Interpretation dieser Karte als Zeichen von Bürgertum und Wohlstand.
HERZDAME: Ist sehr offensichtliches ein starkes Symbol für Liebe, Emotion und dem
privaten Bereich. Element ist hier das ‚Wasser“. Ikonographisch geht die Karte auf die
biblische Judith zurück, dem Ideal der Frömmigkeit. Deshalb wird sie auch gerne dem
geistlichen Stand oder generell der Spiritualität zugeordnet. Vom Tarot herkommend ist
die Karte einer Weiterentwicklung der ‚Hohepriesterin‘ oder der ‚Herrscherin‘.
Repräsentiert die „Liebe“ und das „Weibliche“, kann aber auch – wie viele mythische
Frauenfiguren – doppelgestaltig sein. Typisch hierfür ist auch die Herzdame in „Alice im
Wunderland“, dort auch als „Red Queen“ bisweilen genannt. Grundsätzlich gütig, aber
auch kindisch und aufbrausend. Gegenspielerin von Alice, bisweilen übellaunige
Monarchin mit ihrem oft wiederholten Lieblingssatz „Kopf ab!“
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Für mich persönlich war es eine umwerfende Einsicht zu entdecken, dass das profane
(vom Bildungsbürger meist verachtete) Kartenspiel aus dem Tarot hervorgegangen ist, -
weshalb in Frankreich bis seit 1594 die Hersteller von Spielkarten als „Tarotiers“
bezeichnet werden. Das Tarot wiederum entsprang unmittelbar aus der Kabbala , der
zentralen Säule der jüdischen Mystik, die wiederum deckungsgleich mit den großen
Formeln des Weltursprungs in den ägyptischen, hebräischen oder griechischen
Mysterien bis hin zu den indischen Veden oder des chinesischen Tao Te King mit seinem
„I Ging“ ist. Das Tarot (auch „Tarock“ oder „tarocci“ genannt) war ein Glückspiel, und zugleich ein Wahrsage-System. – Schon im Namen zeigt sich die die universelle Bedeutung: In „Tarot“ steckt auch „Tora“, die alttestamentarische Lehre, steckt auch „Rota“, das Rad als ewigem Wechsel von oben/unten, steckt „Ator“, der ägyptische Gott der ‚Einweihung‘, auch „Orator“ der Redner.
Das Herzstück des Tarot ist die ‚Große Arkana‘ (Arkana = Geheimnis) mit den 22 Karten als den archetypischen Stationen, die ein Mensch in seinem irdischen Dasein durchlaufen muss. Die Kartenfarben „Bub, König und Königin“ sind unmittelbar den Arkanakarten entnommen. Diese Stationen hatten schon früh in 22 Wandgemälden des ägyptischen Tempels von Memphis ihre Entsprechung. 22 ist auch die Zahl der Buchstaben in der hebräischen Sprache, die für die Ur-Energien von Zahl, Farbe und Seins-Formen stehen. Gleiches gilt für die „heilige Sprache“ des indischen Sanskrit mit ihren 22 Zeichen. Der „Baum des Lebens“, der in der Kabbala die zehn
Emanationen des Göttlichen strukturiert, hat genau 22 Verbindungswege, anhand
derer sich jene geistigen Kräfte erkennen lassen, die hinter einer Situation als
„Koordinatensystem der Seele“ wirken können. In den Kartenspielen finden sich die
„heiligen Zahlen“ der Kabbala und vieler Strukturzahlen wieder: etwa wenn beim Skat
der Reizwert eines Pik As bei 22 Punkten liegt und alle anderen Karten stechen kann.
Additional remarks: Auftragswerk der Celloakademie Rutesheim
World premiere: 29.10.2025, Cello Akademie Rutesheim Halle Bühl 2
Performers at world premiere: Premiere am 29. Oktober 2025 19:00 Halle Bühl 2, im Konzert „Symphonische Meisterklänge. Orchesterkonzert der Dozenten“ der Cello Akademie Rutesheim.
…mit vier exzellenten Dozenten-Solisten: Jakob Spahn, Claudio Bohórquez, Sebastian Klinger, Wen-Sinn Yang und der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, Ltg.: Alexander Mayer