Kategorie:  Symphonie / Orchester , Recordings

Das Programm dieser CD schlägt Brücken, - hin zu den großen Komponisten Mozart und Beethoven, und hin zu Asien. Die CD exponiert aber auch das Profil der Jenaer Philharmonie: ein überraschend jung gebliebenes und experimentierfreudiges Orchester,unter Leitung seines GMD Simon Gaudenz. Mit zwei Weltklasse-Solisten Juliana Koch, ARD-Preisträgerin und Solo-Oboistin des London Symphony Orchestra mit ihrem Chefdirigenten Simon Rattle, und Wu Wei, der weltweit als führender Virtuose auf der chinesischen Sheng gilt.

Sätze: RAPTUS. DIE FREIHEIT DES BEETHOVEN für Orchester

MOZART ASCENDING for oboe and orchestra
Musical thoughts about the infinished oboe concerto KV 293
- Prologue “As fate willed” - - Concerto Allegro
- Adagio. „Bitterness of Life” - Epilogue „Mozart ascending“

YIN & YANG. CONCERTO for Sheng and orchestra
- Yin
- Yang

INNER WORLDS – INNENWELTEN for orchestra
Sinfonische Stimmungsmeälde aus Oper Bahnwärter Thiel
- Shadows of the Past - Schatten der Vergangenheit
- Dark Clouds. - Dunkle Wolken
- Solitude in the Forest - Waldeinsamkeiten
- Intermezzo of unrealities - Unwirkliches Intermezzo
- Inner Worlds - Innenwelten
- Peace of Nature - Friede der Natur
- Accident and Desaster - Unfall und Katastrophe
- Moonlit Night and madness – Mondnacht und Wahnsinn


© Schott Music GmbH & Co. KG (2-5, 8-15) / © Ries & Erler Musikverlag Berlin (1, 6+7)

Vorwort: Das Programm dieser CD schlägt Brücken, - hin zu den großen Komponisten Mozart und Beethoven, und hin zu Asien. Die CD exponiert aber auch das Profil der Jenaer Philharmonie: ein überraschend jung gebliebenes und experimentierfreudiges Orchester, das unter Leitung seines GMD Simon Gaudenz für mich zu einem Spitzenorchester geworden ist, dem man nur zu gerne seine Werke anvertraut. In diesem Sinne liegt hier ein spannendes Orchester-Porträt vor. - Weitere Garanten musikalischer Exzellenz sind die beiden Weltklasse-Solisten Juliana Koch, ARD-Preisträgerin und Solo-Oboistin des London Symphony Orchestra mit ihrem Chefdirigenten Simon Rattle, und Wu Wei, der weltweit als führender Virtuose auf der chinesischen Sheng gilt.

Anmerkungen: Zu den Werken:
RAPTUS. DIE FREIHEIT DES BEETHOVEN ist das Deutschen Musikrat vergebenes Pflichtstück der Kategorie „Sinfonieorchester“ für den Deutschen Orchesterwettbewerb in Beethovens Jubiläumsjahr 2020.
„Raptus“ nannte Hofrätin Helene von Breuning , die mütterliche Mentorin des jugendlichen Beethoven, seine Anfälle von Zorn, Verbitterung, Wut und Enttäuschung. Beethoven gebrauchte den Namen „Raptus“ lebenslang, um selbstironisch seine verletzenden Disruptionen zu verklären. Charakter und vor allem das Komponieren waren von solchen Dissonanzen und schroffen Kontrasten geprägt. Das Orchesterstück greift eine solche kategorischen Bruchhaftigkeit auf, - den Kontrast zwischen dem „heroischen Stil“ der Anfangsphase und dem lyrisch rätselhaften Spätstil. In beidem geht es um den zentralen Begriff der Freiheit: Schon 1793 schrieb er ins Stammbuch der Elisabeth Vocke „Freyheit über alles lieben“ und 1819 postulierte er „allein Freyheit und weiter gehen“ als den Zweck der Kunst. In Anlehnung an Vorbilder wie Friedrich Schiller und Jean-Jaques Rousseau war es zunächst die subjektive Freiheit des ‚Sturm und Drang’ mit dem antifeudalen politischen Gestus, wie er sich vor allem in Sieg und „Gloire“ des Napoleon verkörperte. Gesten der Macht und der Gewalt, wie sie in der Musik bislang nie vernommen wurden, ließen in Beethovens Musik nahezu verstörend aufhorchen. Inspiriert von der französischen Revolutionsmusik waren Pathos, Raumeroberung und Schöpferkraft nahezu grenzenlos. Spätestens seit Beginn der Taubheit und dem ‚Heiligenstädter Testament’ überlagert das sich hemmungslos als „Held“ feiernde „Ich“ eine von Demut gezeichnete Transpersonalität: Naturliebe, Andacht, Sternenhimmel, religiöse Transzendenz und Dankgesang waren Chiffren einer neuen Lebenshaltung. Statt kämpferisch dem Schicksal in den Rachen zu greifen geht es nun um Hingabe und eine von jedem Objekt losgelöste, nahezu kosmische Liebe. Gerade der ‚Dankgesang’ wurde hier zum schlichten Urlaut seines Schaffens. Wir finden ihn explizit im „Hirtengesang. Frohe und dankbare Gefühle“ der Pastoralsinfonie op. 68 und im Streichquartett a-moll op. 132 „Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in lydischer Tonart“.... der Gestus der wortlosen Hingabe findet sich jedoch im gesamten Spätwerk vor allem der Klaviersonaten und Streichquartette, wunderschön auch in der Arietta von op. 111.
„Raptus“ zeichnet diese Brüche nach und kontextualisiert viele Zitate aus Beethovens Kosmos: „Eroica“, 5. Und 9. Sinfonie stehen in der ersten Werkhälfte dem aus dem Tonfall „Rap-tus“ entnommenen Zwei-Achtel-Motiv zur Seite. Der lyrische Dankes-Gestus kennzeichnet die zweite Hälfte. Lautmalerisch darf die Gewitter-Sequenz am Ende verstanden werden: Anselm Hüttenbrennen berichtet von den letzten Lebenssekunden Beethovens, wo er zu Gewitter, Schneegestöber, Hagel und Blitz noch einmal die erhobene rechte Faust ballte.... und dann starb. Die allerletzte Aufmerksamkeit kommt allerdings dem Rätselkanon WoO 198 zu, den Beethoven kurz davor Dezember 1826 seinem Kassaoffizier Karl Holz diktierte: „Wir irren allesamt, nur jeder irret anderst“.

MOZART ASCENDING FOR OBOE AND ORCHESTRA sind musikalische Gedanken über das unvollendete Oboenkonzert KV 293. Mozarts nur kurzes Fragment ist eine wunderschöne Musik, die aber gerade deshalb von tiefem Geheimnis umgeben ist : „Warum blieb solch himmlische Musik unvollendet?“, „Wo und welcher Art ist die seelische Verknüpfung mit dem Leben des Komponisten?“ Und immer wieder: „Wer war dieser Wolfgang Amadeus Mozart, der uns mit Widersprüchen, einer Zerrissenheit ohnegleichen, mit dunklen unlösbaren Rätseln und einer nur jenseitig zu erklärenden Genialität gegenübertritt?“
Genau darüber reflektiert MOZART ASCENDING: um den Originaltext werden Emotionen und Kontraste aufgebaut, Assoziationen dürfen traumhaft kommen und gehen. Über Mozarts scheint eine kosmische Macht zu walten, die sich menschlichem Begriff entzieht. Nennen wir sie einfach „Schicksal“ (lat: „fatum, fortuna, sors“, engl.: „fate, destiny“, franz.: „destin, sort“, ital.: „destini, fato, sorte“). Dieses Schicksal hat für mich einen Namen: „Leopold!“. Die harte Hand und der entbehrungsreiche Drill des Vaters waren die dunkle Seite der Erziehung, die wie ein Naturgesetz zum ‚Wunderkind’ dazugehört: je strahlender das Licht – wofür wir alle ja so dankbar sind – desto dunkler die Schatten dahinter. Rainer Maria Rilke hat in seinem Glaubt nicht, Schicksal sei mehr als das Dichte der Kindheit („Duineser Elegien“) und in seiner Formel Kunst ist Kindheit nämlich das Schicksalhafte der Kinderjahre für das gesamte spätere Leben auf den Punkt gebracht. „Leopold?“ – waren nicht Flucht in die Schönheit und entmaterialisierte Heiterkeit, Hinwendung zu Frauen und Glücksspiel, ja sogar die Transzendenz und das Aufsteigen in göttliche Sphären, alles nur Versuche, dem funktionalen Realismus und der Dominanz des Vater-Prinzips eine eigene Welt gegenüberzustellen? Dieses Schicksalhafte scheint mir in allen Werken Mozarts der Subtext und der doppelte Boden zu sein. MOZART ASCENDING ist ein Versuch, solchen Subtext hinter einer Komposition emotional erlebbar zu machen.
Milos Forman hat in seinem „Amadeus“-Film über die Figur des Salieri eindringlich dargestellt, dass der strafende Komtur im Don Giovanni nichts Anderes als Mozarts Verkettung an seinen Vater ist, der ihn ja zeitlebens als Inbegriff des Gewissens mahnte und kontrollierte. Deshalb kommen den musikalischen Don Giovanni-Zitaten in der frei assoziierten Durchführung des Oboenkonzerts besondere Bedeutung zu.
Die Entstehungszeit des Fragments KV 293, die nach wissenschaftlichem Befund (z.B. anhand des beim Autograph verwendeten Notenpapiers) mit Herbst 1778 benennbar ist, führt uns in ein schicksalhaftes und von schweren Schatten gezeichnetes Jahr von Mozarts Leben: nach der erzbischöflichen Verbannung aus Salzburg reiste er im Frühjahr – erstmals ohne Vater! – allein mit der Mutter nach Paris, um dort sein Glück als freier Künstler zu suchen. Es war eine eher deprimierende Reise. Zu der beruflichen Erfolglosigkeit kam die Katastrophe, dass am 3. Juli seine Mutter Anna Maria in Paris verstarb. Eine erschütternde Nahtstelle in Mozarts Leben. War die danach folgende Komposition des Oboenkonzerts F-Dur wiederum ein Versuch Mozarts, sich in eine Welt jenseits der Realität zu flüchten?
Wolfgang Amadeus Mozart, der „Komponist des Überirdischen“. Dorthin flog wohl – wie die Lerche in Ralph Vaughan Williams Lark Ascending - seine Seele.

YIN & YANG. CONCERTO FOR SHENG AND ORCHESTRA.... wurde 2017 für das Festival „Asia-Sibiria-Europe“ komponiert und dort in Krasnoyarsk von WuWei unter Leitung von Simon Gaudenz uraufgeführt. Es bezieht sich auf ein über 2000 Jahre altes philosophisches Konzept des Daoismus: es gibt keine wirkliche Dualität; die vermeintlichen Gegensätze unterliegen dem ständigen Wandel. Die Paare sind untrennbar miteinander verbunden. Die gängigen Symbole des YIN & YANG sind zum einen das Taiji-Symbol mit den zwei in schwarz und weiß auseinander hervorgehenden Fischen, zum anderen das Hotu-Symbol mit zwei kosmologischen Spiral-Galaxien, die ebenfalls in schwarz und weiß ineinander verbunden sind. Die Summe von schwarz und weiß ist immer konstant: das philosophische Prinzip besagt, dass das Negative nicht unendlich anwachsen kann, sondern sich ins Positive kehren wird. Umgekehrt hat auch der Weise gelernt, dass Glück nicht von Dauer ist, sondern wieder ins Dunkle zurückfliessen muß. - Zur Unterscheidung:
YIN ist das weibliche, passive und weiche Prinzip; das Ruhen, der Tod, der dunkle Mond, dunkel und kalt. YANG ist das männliche, harte und aktive Prinzip, das Arbeiten, das Leben, der Vollmond, hell und heiß.

INNENWELTEN - INNERWORLDS sind acht symphonische Stimmungsgemälde aus der Oper BAHNWÄRTER THIEL (nach der Novelle des Literatur-Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann). Thiel ist eine (dem "Wozzeck" vergleichbare) tragische Figur eines Sozialdramas: hypersensibel, voller innerer Bilder, Alpträume, aber schweigsam und nicht zur lauten Expression bestimmt, - zerschellt seine Existenz nach und nach an den bürgerlichen Verhältnissen, verliert durch Zugunglück seinen Sohn, mordet im Wahnsinn Frau und Kind...und endet im Irrenhaus. Ein großes emotionales Panorama, bei dem der Schilderung von „Natur“ – ähnlich wie bei den „Sea-Interludes“ von Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“ – eine tragende Rolle zukommt.

Tonträger:  WERGO 5125 2 distributed by Naxos. LC 00846,  2019

Tonträger Interpreten: Juliana Koch, Oboe (2-5)
Wu Wei, Sheng (6,7)
Jenaer Philharmonie – The Jena Philharmonic (1, 7-11)
conductor: Simon Gaudenz

Ersteinspielungen / First recordings

Recordings:
11.3. – 14.3.2019 in Jena, Volkshaus concert hall
Recording & Editing: Pegasus Audio
Florian B. Schmidt – Hannes Baier